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QUINTUS
Ein historischer Roman
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Leseprobe 1:


(Seite 55 bis 58)

Der Neuling
...
Seine Rede hatte keinen der Anwesenden unbeeindruckt gelassen. Auf der Tribunenbank klatschten einige seiner Kollegen Beifall. Auch aus den Reihen der Senatoren gab es vereinzelte Zustimmung. Aber die meisten Anwesenden blickten mit finsteren Mienen auf den neuen, unbequemen Redner in ihrer Mitte.
Sophron wandte sich seinen neun Kollegen auf der Volkstribunenbank zu. Er schritt sie quälend langsam ab und blickte dabei einem nach dem anderen fest in die Augen. Die Idealisten und Rebellen unter ihnen warfen ihm glühende Blicke voller Leidenschaft und kompromissloser Entschlossenheit zu. Die senatstreuen Volksvertreter antworteten mit den versteinerten Blicken der Gleichgültigkeit.
»Und ihr, meine werten Kollegen, seid keine Opfer. Im Gegenteil, ihr setzt dem Ganzen die Krone auf. Einige von euch lassen sich kaufen wie billige Huren! Warum sitzen wir hier? Weil wir nach Ablauf unseres Tribunats einen bequemen Sitz im Senat erhalten werden? Weil wir den leichtesten und schnellsten Weg zur Macht gehen wollten? Weil wir uns von hochnäsigen Vertretern einflussreicher Adelsgeschlechter oder reichen Großgrundbesitzern sagen lassen müssen, wann wir wie abzustimmen haben? Weil wir reich werden wollen durch heimliche Zuwendungen von Leuten wie Marcus Licinius Crassus? Auch mich hat dieser noble Herr vor unserer Wahl in seine Dienste stellen wollen. Ja, warum sollt ihr das denn nicht erfahren?«
Die Curia kochte. Die Versammlung war inwischen nahe am Tumult.
»Jetzt legt er sich auch noch mit seinen eigenen Leuten und dem verdammten Crassus an! Was hat der Junge vor?« Octavius’ Frage an Nonius stand stellvertretend für die allgemeine Verwirrung der Zuhörer.
»Sehr geschickt«, stellte Nonius fest. »Mit einem einzigen Auftritt verschafft er sich im Volk eine Popularität sondergleichen. Ich denke, er wird entweder ermordet oder von den Anhängern des Drusus unter die Fittiche genommen. Schlau eingefädelt, aber äußerst gefährlich.«
Beide lauschten gespannt, wie Livius Sophronius seine Jungfernrede weiterentwickelte.
»Nein! ... Nein, so nicht!« fuhr Sophron mit glaubhaft wirkender Entrüstung fort. Er glättete die Falten seiner Toga, die während der hitzigen Aufführung in Unordnung geraten war. Dann stand er kerzengerade da und hob die rechte Hand, um die Aufmerksamkeit im Sitzungssaal wieder auf sich zu lenken. Die Atmosphäre war spürbar aufgeladen, doch die allgemeine Neugierde brachte schnell wieder Ruhe in die Reihen der Anwesenden.
»Ihr wisst, was unsere Aufgabe ist. Wir haben nicht das Volk empfänglich für die Beschlüsse dieses Hauses zu machen. Unsere Aufgabe lautet, diesem Haus die Beschlüsse des Volkes verständlich zu machen. Die berechtigten Forderungen derjenigen, die allzu lange ohne eine gewichtige Stimme zusehen mussten, wie man mit nobler Hochnäsigkeit über sie hinwegsah!«
Sophron blickte von einer Seite des Hauses zur anderen. Was er sah, stellte ihn zufrieden. Gesichter, rot vor Zorn. Fäuste, die gegen ihn geschüttelt wurden. Alte Männer, die traurig den Kopf hin- und herdrehten, darauf vertrauend, dem Tribun dadurch ihre ganze Verachtung bewusst machen zu können. Männer, die verhalten feixten oder sich offen über die beispiellose Provokation freuten. Der ganze Raum schien plötzlich vor Energie zu pulsieren. Sophron konnte diesen Zustand förmlich einsaugen – und er genoss ihn. Er atmete tief ein, als könne er diese Energie inhalieren und für sich nutzbar machen. Schon spürte er sie durch seinen Körper strömen wie den Saft, der einen Baum erblühen läßt, nur viel schneller. Er versank so tief in diesem Gefühl, daß seine Sprechpause etwas zu lang wurde.
Der alte Scaurus donnerte plötzlich los. Sofort waren alle still, um jedes Wort des Wutausbruchs mitzubekommen, der sich nun über dem neuen Redner in ihrer Mitte entladen würde.
»Was glaubst du eigentlich, wer du bist, du schleimiger Wurm?« Der große Mann mit dem mumienhaften Antlitz beugte sich weit über sein schmales Redepult. Es war erstaunlich, daß er in seinem Alter noch eine solche Standfestigkeit aufbrachte. Sein Gesicht lief dunkelrot an.
»Glaubst du, wir lassen uns von Anfängern wie dir derart respektlos auf der Nase herumtanzen? Das Volk ist doch gar nicht in der Lage, Rom zu regieren. Ohne uns wäre es ein Nichts. Es ist ungehobelt, ungebildet, sittenlos und will doch nur alles in den Rachen geworfen bekommen. Hier sitzen die größten Männer Roms und müssen sich von einer kleinen Stechmücke wie dir, ohne Herkunft und Verdienste, Beleidigungen anhören, die jeder Beschreibung spotten. So ist das Volk! Du bist ein würdiger Vertreter dieser ewig zeternden und immerzu fordernden Masse der Mittelmäßigen. Geh lieber schnell wieder in deine Gosse zurück, solange du noch die Gelegenheit dazu hast, du lächerlicher Aufwiegler. Hier hast du nichts zu suchen!« Die letzten Worte schrie er Sophron ins Gesicht.
»Ehrenwerter Senatsvorsitzender!« Sophron stand mit verschränkten Armen da und sah den alten Scaurus kampfeslustig an. »Wenn du dich noch ein klein wenig mehr zu mir herunterbeugst, werden wir alle zwar dein hübsches Gesicht nicht mehr sehen können, dafür aber deinen ehrwürdigen, gebildeten und gesitteten Hintern, einen der größten Roms. Oder sollte ich lieber sagen, das Antlitz eines der größten Männer Roms?«
Die Senatsversammlung tobte.
»Soviel Spaß habe ich schon lange nicht mehr gehabt. Das hier ist besser als alle Theateraufführungen der letzten Jahre. Dieser Mann ist der geborene Demagoge.« Der junge Julius Caesar sprach selten mit einer derartigen Begeisterung. Sein Faktionsfreund Marcus Antonius, der im Senat fast immer an seiner Seite zu sehen war, brach in schallendes Gelächter aus.
Immer mehr Senatoren der jüngeren Generation und Parteigänger der Popularen begannen zu lachen. Vielleicht wußte keiner so recht, warum die anderen sich so gehen ließen, aber nur wenige konnten sich der ansteckenden Woge der Heiterkeit entziehen.
»Der altehrwürdige Vorsitzende des römischen Senats läßt sich von einem blutigen Anfänger aufmischen! Nicht schlecht!« Caesar versuchte, seine Selbstbeherrschung zu wahren.
»Was für ein Tag! Wie er die Optimaten vorführt! Der Junge ist köstlich.« Marcus Antonius konnte sich kaum noch halten. Ihm war Selbstbeherrschung völlig egal. Tränen standen in seinen Augen.
Inzwischen hatten sich ungewöhnlich große Menschenmengen vor den Rostra zusammengefunden. Sophron nutzte die Stimmung, die zu seinen Gunsten gekippt war.
»Nun, ehrenwerte Väter, ihr seid offenbar der Meinung, das Volk habe bereits zuviel Macht in seinen Händen. Es bilde sich ein, euch, die ihr die erste und beste Klasse sein wollt, bisweilen korrigieren zu dürfen. Euch, die ihr es gnädigerweise gerade erst für höhere Ämter zugelassen habt. Waren wir euch bisher nur lästig, so werden wir euch in Zukunft wie die Pest im Nacken sitzen. Paßt gut auf, es beginnt schon hier und jetzt.«
Die Spannung war schier unerträglich.
Am Gipfelpunkt seiner Rede wandte sich Sophron dem Volk zu.
Er schritt genüßlich auf die Rostra hinaus, der johlenden Menschenmenge entgegen, die längst alle Höhepunkte seiner Rede durch die geöffneten Türen der Curia aufgesogen hatte. Einige der Senatoren und Volkstribunen liefen ihm sofort hinterher, um auch kein einziges Wort zu versäumen.
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